Das Kreuserstift — „Waisen- und Invalidenhaus“ in Mechernich

Am 8. Oktober 1885 öffnete in der Weierstraße in Mechernich ein Gebäude seine Tore, das für die Versorgung derjenigen gebaut worden war, die durch den Bleierzabbau in soziale Not geraten waren. Das große, zweigeschossige, im neoromanischen Stil errichtete Haus mit Nebengebäuden und ausgedehnten Gartenanlagen auf einer Fläche von 20.197 m2 diente sowohl als Waisenhaus und als auch als Altenheim für „altersschwache kränkliche Berg-Invaliden und sonstige Personen“. Es hatte eine Krankenstation und bot dazu noch Raum für einen Kinderhort, eine Näh- und Haushaltungsschule für nicht mehr schulpflichtige Mädchen und eine Suppenküche für bedürftige Kinder und Erwachsene. 1912 wurde das Gebäude noch um ein Stockwerk erhöht, das Dachgeschoss ausgebaut und um zwei Flügel erweitert.
Die Stiftung Carl Kreuser jr. ist heute ein Seniorenheim, das sich in einem Neubau in der Bahnstraße 67 befindet.
Soziale Not in Mechernich

In den Jahren zwischen 1843 und 1885 explodierten die Einwohnerzahlen in Mechernich, Roggendorf und Strempt, wie es in diesem Zeitraum sonst nur im Ruhrgebiet verzeichnet werden konnte. Zu verdanken war der Boom der Bleierzgewinnung am Bleiberg. Der Erzabbau schaffte ca. 3.000 Arbeitsplätze. Die Betreiber, der Bergwerks-Actien-Verein, dessen Hauptaktionäre die Gebrüder Kreuser waren, hatten den Bleierzabbau in Mechernich revolutioniert, indem sie den ersten Tagebau ins Leben riefen. Doch die Infrastruktur der Orte am Bleibach konnte mit dieser rasanten Entwicklung nicht Schritt halten, infolgedessen waren die Wohnverhältnisse mehr als ärmlich, der Bergwerks-Actien-Verein versuchte durch Wohnungsbau und fürsorgliche Maßnahmen die Not zu lindern.
Helene Kreuser – Gründerin des Hauses und der Stiftung (1849 – 1914)
Die Idee zur Einrichtung der „Wohltätigkeitsanstalt“ hatten der Bergwerksunternehmer Carl Kreuser jr. (1837-1884) und seine Ehefrau Helene. Fälschlich schreibt man oft das „Kreuser-Stift“ dem Ehemann zu. Es war jedoch Helene, deren Lebenswerk das Kreuser-Stift wurde. Bei der Gründung des Hauses am 8. Oktober 1885 war Carl Kreuser jr. bereits seit einem Jahr tot. Seine 36-jährige Witwe ließ die Arbeiten am Haus fortführen und brachte sie zum Abschluss. Sie widmete die Fürsorgeeinrichtung namentlich ihrem verstorbenen Mann.

Helene Kreuser leitete das Stift von Anfang an. Sie schloss einen Vertrag mit der „Genossenschaft der armen Franziskanerinnen zu Salzkotten“ zur Verwaltung und Bewirtschaftung der Wohltätigkeitsanstalt, wobei sich die Schwestern in der Führung des Hauses nach den Wünschen von Helene Kreuser zu richten hatten. Die Aufnahme und Entlassung der Kranken und Kinder nahmen die sechs Schwestern in Absprache mit der Gründerin vor.
Ihr, die ansonsten in Bonn lebte, standen Räume im Haus zur Verfügung, damit ihre Präsenz, Aufsicht und Einflussnahme gewährleistet waren. 1897 wandelte Helene Kreuser die Wohltätigkeitseinrichtung in eine Stiftung um, deren Vorsitzender, neben sechs weiteren Mitgliedern, auf dem Papier der jeweils amtierende Mechernicher Pfarrer war.
Doch Helene vertrat die Ansicht, dass der Vorstand erst nach ihrem Tod dazu berufen sei, die Stiftung verantwortlich zu führen. Bis zu 700.000 Goldmark brachten sie und ihre Schwester aus dem privaten Vermögen in die Stiftung ein.
Helene Kreuser schuf in einer Zeit, als die Sozialgesetzgebung noch in den Kinderschuhen steckte und noch nicht vor Armut im Alter oder bei Unfällen schützte, einen wichtigen privaten, sozialen Beitrag zur Versorgung der Waisen und alten Bergarbeiter des Mechernicher Bergwerks-Actien-Vereins.
Kopfbild: Das Kreuserstift — „Waisen- und Invalidenhaus“ in der Weierstraße, Mechernich, Foto: Stadtarchiv Mechernich