Frank Neuenhausen berichtet für den Kölner Stadt-Anzeiger bzw. die Kölnische Rundschau über das Hans-Litten-Projekt des Künstlers Rolf A. Klünter:
Rolf A. Kluenter widmete sein Werk dem Rechtsanwalt Hans Litten, der vor Gericht gegen Hitler stritt / Bedrückende Schau im alten Schlachthof
Szenen, die auch in der Gegenwart wachrütteln sollen: Künstler Rolf A. Kluenter deutete auf die beiden Schauspieler, die an historischer Stelle sämtliche Rollen im Prozess gegen Adolf Hitler nachspielten. Foto: Frank Neuenhausen (Frank Neuenhausen)Von Frank Neuenhausen
Euskirchen. Eine bedrückendere Atmosphäre hätte der Künstler Rolf A. Kluenter für seine Werkschau über den Rechtsanwalt Hans Litten, der Adolf Hitler beinahe in einem Prozess vorzeitig zu Fall gebracht hätte, kaum finden können. Der ehemalige Schlachthof in der Erftstraße in Euskirchen ist schon beim Betreten gruselig. Die Fleischerhaken, an Kettenzügen aufgehängt, sehen noch so blank und dienstbereit aus, als warteten sie auf die nächsten Tierkörper. Weiße Kacheln an den Wänden täuschen saubere Unschuld vor.
Kluenter, der zwischen seinem Wahlort Shanghai und seinem Geburtsort Bürvenich wechselt, hat den Ort bewusst gewählt, weil er dort Bezüge zu Hans Litten gefunden hat. Der Jurist, der Hitler am 8. Mai 1931 im Moabiter Gerichtssaal mutig ins Kreuzverhör nahm, um ihm und seiner Partei nachzuweisen, terroristische, verfassungswidrige Absichten zu haben, sprach mit diesem Einsatz sein eigenes Todesurteil.
Kluenter sieht in einem Schlachter einen Menschen, der einerseits tötet, andererseits für den Erhalt der Nahrungskette sorgt. Litten sei in Parallele dazu ein Mann, der den eigenen Tod einkalkuliert, um für den Erhalt einer demokratischen Nation zu sorgen, der Weimarer Republik. Tod und Leben stünden in einer widerspruchsvollen Verbindung.
Mit dem Schlachthof verbindet den energischen Anwalt auch das Eröffnungsjahr 1903. Es war das Geburtsjahr Littens, der nach Kluenters Recherche sehr umfassend gebildet war, feste moralische Prinzipien hatte und radikal seine Ansichten vertrat. Der Richter Ohnesorg verhinderte im entscheidenden Moment, dass Hitler Farbe bekennen musste. Er unterbrach Litten beim Verhör und erklärte die NSDAP für verfassungskonform. Litten kam zwei Jahre später in „Schutzhaft“. Fünf Jahre wurde er ununterbrochen in mehreren Konzentrationslagern gefoltert und schließlich 1937 ins KZ Dachau gebracht, wo er am 5. Februar 1938 starb. Nach nicht zweifelsfreien Angaben erhängte er sich in seiner Zelle. Als Hitler das Gerichtsgebäude verließ, versprach er laut: „Die Familie rotte ich aus.“
Kluenters Kunstwerk ist noch im Werden. Zahlreiche Banner hängen von den Wänden und erzählen die Geschichte der beteiligten Personen. Auch eine heimlich aufgenommene Fotografie Hitlers im Gerichtssaal ist dabei. Außerdem begegnet man auf den Plakaten dem Euskirchener Thomas Eßer, der zur Zeit des Prozesses Vizepräsident im Berliner Reichstag war. Ihm und seiner klaren Haltung gegen den Nationalsozialismus ist die Euskirchener Werkschau gewidmet.
Kluenter ist im Begriff, eine transmediale Performance zu schaffen, die nicht nur den kritischsten Augenblick der Verhandlung in die Gegenwart holt, sondern vor allem ein Bewusstsein für parallele Vorgänge der heutigen Zeit schaffen soll. „Awareness, Bewusstsein, ist das, worauf es ankommt“, sagt Kluenters auch im Hinblick auf rechte Entwicklungen in der heutigen Gesellschaft: „Ruhe bewahren und genau hinschauen! Ich möchte Prozesse der Weisheit in Bewegung bringen.“ Die Besucher wurden während der Werkschau Teil des Kunstwerkes. Vor einem Plakat mit dem Text des Liedes „Die Gedanken sind frei“ blieben sie stehen und Teilnehmer lasen die Sätze laut vor. Die NS-Schergen hatten Litten erlaubt, dieses Lied im KZ vor anderen Häftlingen zu singen. „Den tieferen Sinn hatten sie nicht begriffen,“ vermutet Kluenter. Auf einem alten Schlachttisch lagen ein überdimensionales Blatt Papier und Stifte, damit jeder in Ehrung Littens und seines Mutes ein Wort oder einen Satz aus dem Lied darauf festhalten konnte.
Kluenter saß am Ende der Veranstaltung müde neben einem blauen Plastikraster, auf dem Wachsreste zu sehen sind. Hier hatte er gegen Mitternacht 24 Kerzen angezündet und anschließend seine 24 Stunden Schlachthofkunst begonnen. Kluenters Kunst besteht nicht in der Abbildung von Dingen, sondern darin, Augenblicke sichtbar zu machen. Der gerichtliche „Aufschrei“ Littens ist für ihn zu einem bedeutenden Moment geworden, den er Besuchern spürbar nahegebracht hat.