Rolf A. Klünter bei den Dreharbeiten zum "Hans-Litten-Aufschrei"

Tragik eines Augenblicks

Steffi Tucholke berichtet für die Agentur ProfiPress über das Projekt „Hans Litten – Der Aufschrei“ des Künstlers Rolf A. Klünter

Künstler Rolf A. Kluenter präsentiert erstmals sein aktuelles multimediales Projekt „Hans Litten – Der Aufschrei“ im alten Schlachthof in Euskirchen – Auseinandersetzung mit Momentaufnahme im Edenpalast-Prozess 1931 – Rechtsradikal motivierte Gewalt als Anlass für Werkschau

Euskirchen – Gekachelte Wände, Metallwannen, Fleischerhaken, Schlachtgerät – auch wenn der alte Schlachthof in Euskirchen bereits vor drei Jahren geschlossen wurde, zeugt die Atmosphäre in den Hallen noch von der Tötungsmaschinerie, in der seit 1903 Tiere geschlachtet wurden. Es ist eine beklemmende Umgebung, die sich Rolf A. Kluenter für die Werkschau und Präsentation seines aktuellen Kunstwerks „Hans Litten – Der Aufschrei“ ausgesucht hat. Beklemmend auch deshalb, weil der junge Rechtsanwalt Hans Litten, der Adolf Hitler 1931 in einem außergewöhnlichen Kreuzverhör vorführte, sein Leben im Konzentrationslager beenden musste.

Auf mehreren medialen Ebenen wie Film, Fotografie und Druck nähert sich Rolf A. Kluenter einem bestimmten Augenblick im Rahmen des Edenpalast-Prozesses 1931 in Berlin, den er künstlerisch nachempfinden möchte. Foto: Steffi Tucholke/pp/Agentur ProfiPress

Anlass für die Kunstpräsentation in Euskirchen sei die Reihe von rechtsradikal motivierten Anschlägen gewesen, die Deutschland im vergangenen Jahr erschüttert hätten, sagte Dr. Gabriele Rünger, Vorsitzende des veranstaltenden Geschichtsvereins des Kreises Euskirchen, zur Einführung in den Abend. Nach dem Zweiten Weltkrieg hätten sich die Deutschen geschworen, dass so etwas nie wieder passieren dürfe. Nun, so Rünger, sei es an der Zeit zu fragen: „Wo stehen wir heute? Wie schützen wir unsere Demokratie? Was tun wir, wenn die Gewalt von rechts kommt?“

„Kunst kann Dinge nicht lösen, aber sie kann Prozesse des Denkens und Fühlens in Bewegung setzen“, so Rolf A. Kluenter. Foto: Steffi Tucholke/pp/Agentur ProfiPress

Das Projekt „Hans Litten – Der Aufschrei“ sei in diesem Sinne ein Ansatz, um Vergangenes künstlerisch aufzuarbeiten und den Betrachtern so zu helfen, gesellschaftliche Geschehnisse und politische Prozesse der Gegenwart bewusst zu sehen, um damit umgehen zu können, erklärte Rolf A. Kluenter. Er ist überzeugt: „Kunst kann Dinge nicht lösen, aber sie kann Prozesse des Denkens und Fühlens in Bewegung setzen.“

Moment des Wartens

Tatsächlich setzt sich in Bürvenich und Shanghai lebende Künstler Rolf A. Kluenter bereits seit dem Jahr 2003 mit der Geschichte um Hans Litten und den Edenpalast-Prozess auseinander. In dem Prozess vertrat Rechtsanwalt Hans Litten die Arbeiter, die bei einem Überfall der SA-Ortsgruppe „Sturm 33“ auf das Berliner Tanzlokal „Edenpalast“ verletzt worden waren.

Mit Zitaten aus dem Volkslied „Die Gedanken sind frei“ konnten die Besucher der Werkschau selbst Teil des Kunstwerks werden. Foto: Steffi Tucholke/pp/Agentur ProfiPress

Im Verlauf des Prozesses nahm Litten den als Zeugen geladenen Adolf Hitler mehrfach ins Kreuzverhör. Er führte Hitler vor und zog seinen „Legalitätseid“ (mit dem Hitler die Absicht der NSDAP beschwor, auf legalem und nicht paramilitärischem Weg an die Macht zu gelangen) in Zweifel. Tatsächlich kam Litten in seinem insgesamt neunstündigen Verhör so weit, dass er „nachwies, aber nicht durchsetzen konnte, dass die NSDAP eine terroristische Vereinigung war“, so Kluenter.

Die Gäste nutzten bereits die Zeit vor der Werkschau, um sich mit Teilen der Kunstinstallation auseinanderzusetzen. Foto: Steffi Tucholke/pp/Agentur ProfiPress

Für sein Kunstprojekt beschäftigt Rolf A. Kluenter sich mit einem besonderen Augenblick im Edenpalast-Prozess: Am 8. Mai 1931 saßen die Beteiligten zwischen 17 Uhr und 18.09 Uhr im Gerichtssaal des Landgerichts Berlin-Moabit und warteten auf den Beschluss, ob Adolf Hitler ein weiteres Mal in den Zeugenstand gerufen werden durfte – ein Augenblick des Stillstands.

In seiner Präsentation schilderte Künstler Rolf A. Kluenter unter anderem die Beweggründe, die zu seinem aktuellen Kunstprojekt geführt haben. Foto: Steffi Tucholke/pp/Agentur ProfiPress

Diesen Moment des Wartens hielt der Fotograf Leo Rosenthal in einer heimlich geschossenen Fotografie fest. Auch der Schriftsteller Erich Mühsam nahm diesen Augenblick in seinem Gedicht „Der granitne Adolf“ auf. Schließlich setzt sich sogar ein Holzdruck der chinesischen Künstlerin Zhao Yannin mit den Folgen dieser Momentaufnahme auseinander – und weckt Jahrzehnte später Rolf A. Kluenters Interesse an dieser Szene.

Anlass für die Kunstpräsentation in Euskirchen sei die Reihe von rechtsradikal motivierten Anschlägen gewesen, die Deutschland im vergangenen Jahr erschüttert hätten, sagte Dr. Gabriele Rünger, Vorsitzende des veranstaltenden Geschichtsvereins des Kreises Euskirchen, zur Einführung in den Abend. Foto: Steffi Tucholke/pp/Agentur ProfiPress

In „Hans Litten – Der Aufschrei“ nähert er sich diesem Augenblick am 8. Mai 1931 auf verschiedenen medialen Ebenen. Zusammen mit dem Schauspieler Markus Gertken drehte er die Gerichtsszene am Originalschauplatz nach – mit Gertken in 76 Rollen, an seiner Seite nur die Schauspielerin Anja Scheffer in der Rolle der für ihre Gerichtsreportagen bekannten Journalistin Gabriele Tergit. Fiktiv fügte Kluenter auch Thomas Eßer in die Gerichtsszene mit ein. Die Werkschau in Euskirchen widmete Kluenter dem Euskirchener Politiker und Gegner des Nationalsozialismus, der zum Zeitpunkt des Edenpalast-Prozesses Vizepräsident des Deutschen Reichstages war.

„Die Gedanken sind frei“

Neben dem Film gehören außerdem ein Interview mit Hans Littens Mutter Irmgard aus dem britischen Fernsehen sowie Fotografien aus dem Gerichtssaal, das Gedicht von Erich Mühsam und Daten und Fakten zum Prozess und den beteiligten Personen auf Bannern zur Kunstinstallation im alten Schlachthof. Nach der Präsentation des Projektes und einer Führung endete die Werkschau vor einem Banner mit dem Text des deutschen Volksliedes „Die Gedanken sind frei“. Von einem Mithäftling ist überliefert, dass Hans Litten das Lied bei einer Feier im Konzentrationslager Lichtenburg rezitierte.

Abwechselnd rezitierten die Besucher der Werkschau die Textpassagen des deutschen Volksliedes „Die Gedanken sind frei“. Foto: Steffi Tucholke/pp/Agentur ProfiPress

Nach Aufforderung des Künstlers rezitierten nun die Besucher im alten Schlachthof das Volkslied, teils singend, teils vorlesend. Im Anschluss nutzten einige von ihnen außerdem Kluenters Angebot, selbst Teil des Kunstwerks zu werden, und einzelne Wörter oder Textpassagen des Liedes mit schwarzem Stift auf einer ausgelegten Papierbahn festzuhalten.

Eine beklemmende Atmosphäre schuf der alte Schlachthof in Euskirchen, der zwar seit 2017 geschlossen aber immer noch komplett eingerichtet ist. Foto: Steffi Tucholke/pp/Agentur ProfiPress

Hans Litten starb am 5. Februar 1938 im Konzentrationslager Dachau. In Erinnerung daran begann Rolf A. Kluenter um 0.10 Uhr, dem festgehaltenen Todeszeitpunkt Littens, eine 24-Stunden-Performance, in der er im alten Schlachthof in Euskirchen ausharrte. „Das hat wieder einige Bewegungen in meinem Kopf ausgelöst“, erzählte Kluenter, der sich noch etwa zwei Jahre Zeit nehmen möchte, um das komplexe Kunstprojekt fertigzustellen.

Die Gäste konnten Teil des Kunstwerkes werden. Künstler Rolf A. Kluenter möchte sich allerdings noch etwa zwei Jahre Zeit nehmen, um das komplexe Projekt fertigzustellen. Foto: Steffi Tucholke/pp/Agentur ProfiPress

Die erste Präsentation seines Werkes im alten Schlachthof in Euskirchen besitzt für ihn einen tieferen Zusammenhang: „Die Menschen, die hier im Schlachthof gearbeitet haben, entschieden tagtäglich zu töten, um die Nahrungskette zu erfüllen. Hans Litten hat sich entschieden, Adolf Hitler vorzuführen, obwohl er wusste, dass er sich damit auch sein eigenes Todesurteil erklärte. Es sind die tragischen Momente des Lebens, in denen wir Entscheidungen treffen müssen.“

pp/Agentur ProfiPress

Nach oben scrollen